Hans Paasche
"Ich heiße Paasche, war Seeoffizier und bin Revolutionär!" Berlin, 9. November 1918Japan und Hans Paasche – Ein pazifistischer Wanderer zwischen den Welten (von Oda Hiroshi)
Quelle dieses Beitrags: Oda, H., 2011, Japan und Hans Paasche: Ein pazifistischer Wanderer zwischen den Welten. in Curt-Engelhorn-Stiftung für dei Reiss-Engelhorn-Museen und Verband der Deutsch-Japanischen Gesellschaften (Hrsg.), Ferne Gefährten: 150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen. Schnell und Steiner: S. 212-215.
Japan und Hans Paasche – Ein pazifistischer Wanderer zwischen den Welten (von Oda Hiroshi)
Auf den ersten Blick haben Name und Person von Hans Paasche wenig, ja eigentlich gar nichts mit Japan zu tun. Paasche hat weder Japan besucht, noch über Japan geschrieben, vielleicht hat Hans Paasche in seinem Leben nicht einmal einen Japaner persönlich gekannt. Und dennoch: es lohnt für uns Japaner heute, auf einen Menschen zu blicken und dessen Gedanken zu rezipieren, der geradezu prophetisch durch seine geschriebene und gelebte Überzeugung an ein Thema rührte, das Deutschland wie Japan im 20. Jahrhundert – insbesondere als sie die „Achsenmächte“ bildeten – bitter zur Kenntnis nehmen mussten.
Wenn wir uns die Frage stellen, welches die großen Schrecknisse des 20. Jahrhunderts für unsere beiden Länder waren, werden wir zuallererst an jenen Krieg denken, der mit Hiroshima und Nagasaki in Japan, mit vielen völlig zerstörten Städten in Deutschland, mit Millionen von Toten auf den Schlachtfeldern, mit Millionen von aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen endete. War nur dies das 20. Jahrhundert, in dem Japan und Deutschland schwere Schuld auf sich geladen haben? Nein, es hatte schon einige Jahrzehnte zuvor begonnen, mit der Habgier der Regierungen der beiden Nationen. Wenngleich zur einzigen Entschuldigung, aber nicht zu Beschönigung zu sagen ist, dass Handlungen wie diese eingebettet waren in ein imperialistisches Gehabe, das vieler Länder Handlungen bestimmte. Japan hatte sich auf dem asiatischen Kontinent verrannt und auf das schwerste die koreanische und chinesische Souveränität verletzt. Und auch Deutschland hatte sich, in diesem Fall in Afrika, großzügig der Ressourcen bedient, ohne besondere Rücksicht auf die Bedürfnisse und Eigenheiten der lokalen Bevölkerung zu nehmen.
Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland
Der Ausgangspunkt unserer Betrachtung liegt in einem Buch Hans Paasches, das zu einem Bestseller geworden war. Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland. Zunächst waren diese geistvollen Bemerkungen in mehreren „Briefen“ in der Zeitschrift „Vortrupp“ erschienen. Der Titel dieses kritischen „Reiseberichts“ (Hamburg 1921) erinnerte auch ohne viel Nachdenken sofort an jenen oft hochnäsigen Typus von Schriften, in denen ein Japaner oder ein Deutscher vom Innersten eines anderen, natürlich meist „wilden“ Landes berichtete.
„Wisse: das Land, in dem ich jetzt reise“, schreibt der fiktive afrikanische Reisende, „heißt Deutschland. Die Eingeborenen des Landes bezahlen nicht mit Rindern und Ziegen, auch nicht mit Glasperlen oder Kaurimuscheln oder Baumwollstoff; kleine Metallstücke und buntes Papier ist ihre Münze, und das Papier ist wertvoller als das Metall. Es gibt ein braunes Papier, das ist mehr wert als eine ganze Zahl Deiner Rinder. … Die Eingeborenen des Landes empfinden diesen und noch viel größeren Unsinn als etwas Selbstverständliches, und sie sind so sehr daran gewöhnt, daß sie erschrecken würden, wenn es anders wäre. Sie nennen alles, was sie bringen wollen, mit einem Worte ‚Kultur‘.“
Das Buch ist heute in einer Neuauflage zugänglich und inzwischen auch in japanischer Sprache erschienen (Afurika-jin Rukanga Mukara no Doitsu okuchi e no chōsa ryokō, Tokyo 2005). Dass eine Übersetzung in Japan interessierte Leser findet, ist noch lange kein bedeutsamer Grund, einen Japanbezug herzustellen. Dieser liegt vielmehr in einer anderen Schrift aus Paasches Feder, die ebenfalls kurz nach dem Ersten Weltkrieg erschienen ist und den Titel Meine Mitschuld am Weltkriege (Berlin 1919) trägt. Dieses ist das Zeugnis, das Paasche zum Pazifisten und – zum Märtyrer machte.
Pazifist und Märtyrer
Blicken wir zuerst auf Hans Paasches Lebensweg, der so völlig anders begonnen hat, als er endete. Der 1881 in Rostock geborene Paasche stammt aus einer konservativen, großbürgerlichen Familie. Sein Vater war Professor der Wirtschaftswissenschaften und Reichstags-Vizepräsident. Der junge Paasche brach den Schulbesuch vor dem Abitur ab und wurde Seekadett, er entschied sich für die Laufbahn eines Marineoffiziers und erreichte zuletzt den Rang eines Kapitänleutnants.
Sein Schicksal wurde Afrika. Zur Schutztruppe nach Deutsch-Ostafrika (Tansania) versetzt, musste er an der Niederschlagung eines Aufstandes der einheimischen Bevölkerung teilnehmen, den der junge Marineoffizier nicht gutheißen wollte und konnte. Dieser Aufstand wird heute Maji-Maji-Krieg genannt. Paasche gehörte zu den nur wenigen, die in Marinekreisen Kisuaheli gelernt hatten und sich mit den Einheimischen verständigen konnten. Dies machte ihm bewusst, dass die Ursache des „Aufstandes“ vor allem in der bedrückenden Behandlung durch die deutschen Kolonialbehörden gelegen war. Schätzungsweise 180.000 afrikanische Einwohner hatten nach der Strategie der verbrannten Erde ihr Leben verloren. In einem Bezirk leitete Paasche das Kommando. Die dienstlichen Pflichten und seine Affinität zur lokalen Kultur brachten ihn in ein unüberbrückbares Dilemma. Eine Malariaerkrankung beschleunigte den Entschluss, 1906 den Militärdienst zu verlassen. Er ließ sich in Neumark, dem heute zu Polen gehörenden Teil des Landes Brandenburg nieder, betätigte sich als Schriftsteller, hielt Vorträge, in denen er um Verständnis für Afrika und seine Menschen zu wecken suchte, warb für Pazifismus und Frauenwahlrecht, schloss sich auch der Antialkoholbewegung an.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Freiwilliger, seine grundsätzlich pazifistische Haltung brachte ihn aber sehr bald wieder in Konflikt mit der Militärführung. 1916 wurde er unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Als antideutsch und revolutionär denunziert, geriet er in einen Hochverratsprozess, dessen drohender Todesstrafe er nur dadurch entging, dass ihn sein Vater in eine Nervenklinik einweisen ließ.
In dem Büchlein mit dem Titel Meine Mitschuld am Weltkriege (Flugschriften des Bundes Neues Vaterland Nr. 6) stehen Sätze, die einen Japaner, der diese Zeit nur aus den Geschichtsbüchern kennt, zutiefst berühren. Er denkt nicht nur an den Kolonialkrieg in Afrika oder an die Schlachtfelder von Verdun, er denkt auch an die Annexion von Korea, an die Vertreibung vieler Menschen von ihrem angestammten Grund und Boden, an noch schlimmere Dinge, die später folgten, als das Militär nicht mehr den Direktiven der zivilen Regierung in Tokyo folgte.
„Was Krieg bedeutet, das hatte ich in den Jahren 1905/06 in Afrika kennen gelernt. Ich war erfüllt von überraschenden Eindrücken, und eine innere Stimme sagte mir, ich müsse sprechen, müsse warnen. Aber ich sprach und warnte nicht.“
Und weiter: „Krieg beginnt mit Mißverständnis, wird mit Lüge geführt und endigt mit Verwirrung ….. Der Feind, das ist eigentlich nur jener Mensch, den wir nicht lieben durften, weil sonst das Geschäft des Krieges gestockt hätte.“
Ein Schrei aus der Tiefe: „Meine Mitschuld am Weltkriege besteht darin, daß ich den Irrsinn des Krieges schon vor dem Kriege erlebt hatte und mich bestimmen ließ, mein Gewissen zu beruhigen, zu schweigen oder gar im üblichen Stil über solche Dinge zu sprechen.“
Am erstaunlichsten ist ein Bekenntnis, das mitten im Ersten Weltkrieg gesprochen und niedergeschrieben wurde, ehe der Nationalsozialismus noch schlimmere Taten setzte und der japanische Militarismus wütete. „Wir bekennen, daß wir schuldig sind als Volk und wollen dafür büßen. Unsere Schuld besteht darin, daß wir unter dem Druck unserer Erziehung und in dem Vorurteil unserer Vergangenheit nichts für die Freiheit taten, so daß wir schließlich in den Händen von Verbrechern zu gefügigen Werkzeugen der Unterdrückung wurden. Wir bekennen uns jetzt zur Freiheit und Menschlichkeit und beweisen das dadurch, daß wir erklären, mit denen, die uns belogen und betrogen haben, nichts mehr gemein zu haben.“
Am 21. Mai 1920 drangen etwa 60 Soldaten des Reichswehr-Schutzregimentes Nr. 4 in Paasches Landgut ein. Er war kommunistischer Umtriebe bezichtigt worden. Paasche, der eben vom Schwimmen im See kam, wurde erschossen. Weder im Haus noch an ihm persönlich wurden Waffen gefunden. Ein ideologischer Racheakt, der nie genau untersucht wurde und trotz seiner Vertuschung nicht als Unfall, sondern als Mord an einem Pazifisten bezeichnet werden muss. Hans Paasches vier Kinder wurden zu Vollwaisen. Die Mutter war schon im letzten Kriegsjahr, erst 29 Jahre alt, an der damals grassierenden Spanischen Grippe verstorben. Hans Paasche war 39 Jahre alt.
Von Brandenburg nach Yokohama
In einer eigenartigen Verknüpfung von Umständen kommt nun doch Japan unmittelbar ins Spiel. Hans Paasches erstem Sohn Joachim (1911-1994) war es in einer bereits vom Nationalsozialismus bestimmten Zeit nicht möglich, sich dem als elitär betrachteten Jurastudium zu widmen. Der Großvater mütterlicherseits wurde in der NS-Zeit als „Jude“ betrachtet, wenngleich er zum Christentum konvertiert war. Der „Vierteljude“ entschied sich für Ostasienwissenschaften und schrieb sich an der Berliner Universität zum Studium der japanischen Sprache ein.
Die Abneigung für alles Martialische muss auch Hans Paasches Sohn übernommen haben. Vom Studium angeregt und von seiner Frau, Maria Therese von Hammerstein-Equord, die er 1934 geheiratet hatte, unterstützt, beschloss das junge Ehepaar, sich ins Ausland zu begeben – nach Japan! „Since he had started with Japanese and because we wanted to leave Germany“, erzählte Frau Paasche-Hammerstein später, „we got the idea to go to Japan, it being a Buddhist and civilized country“. Der Vater bzw. Schwiegervater, Reichswehrgeneral Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord (1878-1943), hatte letztlich das Paar auch in dieser schwierigen Entscheidung unterstützt. Heute wissen wir, dass Hammerstein-Equord trotz aktiver Verwendung in der militärischen Leitung in Opposition zu Hitler gestanden hatte und zum weiteren Kreis des Widerstandes zu zählen ist. „Den Ott“, wird von ihm die Aussage überliefert, „habe ich gerettet und ihn ganz weit weg versetzen lassen, nämlich nach Tokio als Militärattaché“ (Hans Magnus Enzensberger, Hammerstein oder der Eigensinn, Frankfurt a. M. 2008). Eugen Ott war später in Tokyo, analog zur Amtsaufwertung ōshima’s in Berlin, zum deutschen Botschafter aufgestiegen.
Joachim Paasche, der sich aus Abneigung gegen seinen deutschen Vornamen von nun an John nannte, und seine Frau hatten sich im November 1935 in London auf dem japanischen Dampfer „Yasukuni-maru“ eingeschifft. Im Januar 1936 trafen sie in Kōbe ein. Die Eingewöhnung in Japan war unkompliziert. Nicht nur des vorangegangenen Studiums wegen, sondern auch dank des Personenkreises, der helfend zur Seite stand. Zunächst bei einem mit einer Deutschen verheirateten Dozenten Sano, der Sozialwissenschaft und Philosophie lehrte. Dies war eine Empfehlung von Wilhelm Solf, der zwischen 1920 und 1928 Botschafter in Japan war. „In Berlin, Ambassador Solf had told us that he felt Mr. Sanno to be the nicest Japanese he knew“, berichtete Maria Therese Paasche später in einem Interview (M. T. Paasche: Our Thanks to the Fuji-san, 1984). Einen anderen Kontakt bildete in Ōsaka der Japanologe Hermann Bohner (1884-1963), ehemals evangelischer Missionar, der während des Ersten Weltkrieges in Tsingtao (Qingdao 青島) in japanische Gefangenschaft geraten und die folgenden Kriegsjahre in den Gefangenenlagern von Matsuyama und Bandō festgehalten worden war.
In Honmoku in Yokohama konnte die Familie Paasche-Hammerstein auf Vermittlung der befreundeten Familien Kume und Nomura (Nomura Yōzō 野村洋三 war ein bekannter Kunsthändler und Unternehmer) ihre erste Bleibe mieten. In dem nur als Privatdruck erschienenen Interview „Our Thanks to the Fuji-san“ erinnert sich Frau Paasche: „It was a house with tatami (straw mats), which are green when they are fresh as they are made out of grass. And so – we took off our shoes and started to become Japanese.“
Joachim, alias John, arbeitete zunächst als Büroangestellter in einem Anwaltsbüro in Tokyo, danach übernahm er durch die Unterstützung von Botschafter Eugen Ott die Aufgabe, japanische Zeitschriften auszuwerten und zugänglich zu machen. Später übersiedelte die Familie nach Chigasaki; es war jenes Haus, das bis dahin einer der Sekretäre an der deutschen Botschaft, Wilhelm Haas (1896-1981), genutzt hatte. Haas, der mit einer Jüdin verheiratet war, hatte die Botschaft verlassen und nach Peking gehen müssen. Im Kontakt zwischen Haas und Paasche schloss sich der Kreis von Gleichgesinnten, denen der Nationalsozialismus bis ins Innerste ihrer Herzen fremd geblieben war. Nach dem Krieg jedoch wählte Paasche mit Frau und seinen vier Kindern eine neue Zukunft, er entschied sich für ein Leben in den USA, wo er nach Studien in Berkeley Bibliothekar für ostasiatische Sprachen geworden war; Wilhelm Haas hatte die Genugtuung, im Auswärtigen Amt als unbelastet übernommen zu werden und zuletzt zum Botschafter in Japan (1958 bis 1961) aufzusteigen.
„Mehr gesät als geschnitten“
Es dauerte, bis der Name von Hans Paasche wieder in Erinnerung gerufen werden durfte. Ein Mensch, aus seiner ganzen Gesinnung zutiefst dem Frieden zugeneigt und von kritischem Geist, beseelt gegen jede Art von Unterdrückung, kolonialistischem Denken und Ungerechtigkeit. In seiner Publikation Das verlorene Afrika (Berlin 1919, Flugschriften des Bundes Neues Vaterland Nr. 16) hatte er es so formuliert: „Als wir zu kolonisieren begannen, waren wir unfrei und unglücklich und sind das heute noch.“
Heute ist am Grab von Hans Paasche, das auf eben jenem Grundstück liegt, auf dem er erschossen wurde, ein Epitaph aufgestellt, das in polnischer Sprache die Aufschrift trägt: „Hier ruht ein Kämpfer für Frieden und Völkerverständigung, ermordet im Jahre 1920 als Opfer seiner Gesinnung“. Darunter sind, in Anerkennung von Hans Paasches gelebter Überzeugung, die Worte „Ich habe mehr gesät als geschnitten…“ eingraviert. Der polnische Neurologe Jerzy Giergielewicz (geb. 1925 in Stettin), Überlebender von vier nationalsozialistischen Konzentrationslagern, hatte es vermocht, dieses Grab in dem Ort Waldfrieden (poln. Zacisze) nahe der Stadt Krzyz zum Anlass des 85sten Todestages von Hans Paasche am 21. Mai 2005 in den Stand eines polnischen Denkmals und einer Gedenkstätte der europäischen Verständigung zu setzen. An dieser Feierstunde hat auch Gottfried Paasche aus Toronto, der 1937 in Japan geborene Enkelsohn von Hans Paasche, teilgenommen. Auch mir war es vor zwei Jahren möglich, an diesem Grab zu stehen.
(Übersetzung: Nana Miyata)
Weiterführende Literatur
Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder der Eigensinn, Frankfurt a. M. 2008.
P. Werner Lange: Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland. Eine Biographie, Bremen 1995.
P. Werner Lange, (Hg.): Hans Paasche – Das verlorene Afrika: Ansichten vom Lebensweg eines Kolonialoffiziers zum Pazifisten und Revolutionär, Berlin 2008.
Hans Paasche: Meine Mitschuld am Weltkriege, Berlin 1919.
Hans Paasche: Das verlorene Afrika, Berlin 1919.
Hans Paasche: Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland, Hamburg 1921 (Aktuelle Ausgabe: Bremen 2009).
Maria Therese Paasche: Our Thanks to the Fuji-san, Privatdruck 1984.
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