Hans Paasche

"Ich heiße Paasche, war Seeoffizier und bin Revolutionär!" Berlin, 9. November 1918

Helga Paasche in einem Vorwort über Hans Paasche

Helga Paasche in der Biographie “Hans Paasches Forschungsreise ins innerste Deutschland” von Werner Lange

Geleitwort

Im Herbst 1989, als ich gerade zum zweiten Mal im Zentralen Staatsarchiv der DDR in Potsdam über den umfangreichen Akten saß, die ich dort 1987 entdeckt hatte, und die mir zum ersten Mal die Gestalt meines Vaters Hans Paasche vor Augen und Gemüt stellten, bekam ich einen Brief, der mich zunächst erheiterte. „Kapitän auf Großer Fahrt“ stand da auf dem Briefkopf zu lesen, und da ich nicht wusste, dass dies ein Titel bei der Handelsflotte ist, hielt ich es für einen originellen Scherz. Eine weitere Berufsbezeichnung darunter lautete „Schriftsteller“, und der Inhalt des Briefes war vom großen Ernst. Die Koinzidenz mit dem Aktenfund nahm mir fast den Atem: einen biographischen Roman wollte der Kapitän schreiben, und er suchte Kontakt zu mir, weil er viele Fragen über Hans Paasche hatte. Aber er deutete auch an, dass er bereits mehrmals mit seiner Familie auf unserem ehemaligen Besitz im heutigen Polen gewesen sei, „um die Landschaft zu erleben und die Wege zu gehen, die Hans Paasche geliebt hat und gegangen ist.“ Ein solcher Ton lässt aufhorchen, und so kam es bald zu einer persönlichen Begegnung, aus der inzwischen eine echte Freundschaft gewachsen ist. Einen biographischen Roman aber schrieb Werner Lange nicht, sondern an Hand der umfassenden Dokumente, die ihm nun zur Verfügung standen, eine sorgsame Biographie, in der Licht und Schatten behutsam aufscheinen.
Bei der Lektüre des Manuskriptes fragte ich mich oft unwillkürlich: „Ist dies eine Autobiographie meines Vaters?“ Denn wie sonst ließe sich erklären, dass Wesen und Streben, Wollen und Fühlen, Höhen und Tiefen eines Menschen und seines kurzen Lebens so überzeugend, so gültig erfasst und in deutliche Bilder, auch Wortbilder, gebannt werden konnten? Werner Lange hat in seltener Einfühlungsgabe die neununddreißig Lebensjahre meines Vaters begleitet und mit wachem Auge und Herzen beobachtet und – gewertet.
Jedes bewusst gelebte Leben enthält eine Botschaft aus dem tiefsten Seinsgrund der Persönlichkeit. Hans Paasches Botschaft war umfassend, sie wollte nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch die nachfolgenden Generationen erreichen und wachrütteln, – – die Jugend lag im besonders am Herzen. Aber da verstummte seine mahnende Stimme vor bald 75 Jahren plötzlich und offenbar für immer. Das aber durfte wohl nicht sein, – den ganz leise meldete sie sich wieder zu Wort: erst erschien, sogar von mir nur „zufällig“ bemerkt, der „Lukanga Mukara“ an der Gesinnungsfront, – – dann gab der junge Bremer Historiker Helmut Donat (heute sein Verleger) zum 100. Geburtstag 1981 die von ihm gesammelten, allenfalls noch antiquarisch greifbaren Schriften und Aufsätze heraus. Eine Wiederentdeckung Hans Paasches, die nicht mehr „zufällig“ geschah – spürte und spürt Helmut Donat doch jenen Traditionen des „anderen“ Deutschlands nach, dem mein Vater zweifellos zugehört. „Auf der Flucht“ erschossen… hieß das bald vergriffene Buch. Schließlich ermöglichten die Funde in nicht nur einem Archiv 1992 die Herausgabe eines Bandes von meines Vaters zum Teil erstmals veröffentlichten Schriften unter dem Titel „Ändert eurem Sinn!“ Unter diese Aufforderung aus der christlichen Tradition hatte er sein eigenes Leben gestellt – die Metanoia, wie sie in griechischer Sprache lautet, war sein Ziel: Kehr um, besinnt Euch, haltet endlich ein, bevor es zu spät ist. Und nun als, 1994, bündelt diese Biographie die Botschaft eines leidenschaftlich gelebten, entschlossenen durchkämpften Lebens. Alles, was meinem Vater wichtig war, leuchtet auf: Frieden und soziale Gerechtigkeit, Völkerverständigung und Mitmenschlichkeit, ethische und sittliche Werte, die auch allen Mitgeschöpfen und der uns erschaffenden und erhaltenden Natur gegenüber verpflichtend gelten, Mahnungen für oder gegen die Fülle der gesellschaftlichen Probleme, die auch heute noch immer nur allzu aktuell sind – – – ein Mosaik der der Bewusstseinsbildung und ein Aufruf zu tätiger Liebe in allen Lebensbereichen. Diesem Buch ist einer Leserschaft zu wünschen, die zum Nachdenken und zur Tat bereit ist, – – an eine solche wandte sich Hans Paasche mit nie erlahmendem Glauben an die menschlichen Möglichkeiten zum Wandel, zur Metanoia.
Kürzlich wurde ich gefragt, ob es schön oder traurig gewesen sei, 1987 plötzlich vor zwölf Bänden Akten über meinen Vater zu stehen, den Dokumenten, die einen großen Teil dieser Biographie erst möglich gemacht haben. „Beides“, sagte ich – schön, weil der Inhalt dieser unscheinbaren, grauen Aktendeckel mir endlich von meinen Eltern, ihrem Leben, Denken, Wollen und Wirken erzählte, und traurig, weil es auf neue weise schmerzlich war, oh diese Eltern aufgewachsen zu sein. Nun haben mir – und allen Lesern! – die folgenden Seiten ihr ebenso kurzes wie intensives Dasein, den Raum und die geschichtliche Zeit, in dem es verlief, so anschaulich vor Augen gestellt, dass auch die große Aktualität, die ihr Denken und Handeln für uns Heutige hat, nicht zu übersehen ist. Dafür sei Werner Lange gedankt.

Dießen, im August 1994 Helga Paasche

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